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Sicherheit und Entdeckergeist

Wie wir Kinder beim Klettern optimal begleiten können

Was können Kinder nicht alles Wichtiges durchs Klettern verbessern: Gleichgewicht, Koordination, sensorische Integration (= das optimale Zusammenspiel der verschiedenen Sinne), Kraft und Beweglichkeit sowie die Fokussierung der Aufmerksamkeit, Handlungsplanung und Selbstvertrauen. Im Weiteren spielen beim Klettern psychologische Aspekte wie aufeinander aufzupassen, Verantwortung zu übernehmen, der/dem KletterpartnerIn zu vertrauen und mit Ängsten umzugehen eine große Rolle. Beim Outdoor-Klettern kommen noch die verschiedenen Aspekte der Naturverbundenheit dazu, zum Beispiel die Einstellung, dass Natur etwas Schützenswertes ist.

In diesem Artikel werden wir uns mit den psychologischen Aspekten beim Klettern befassen. Wie könnte das Umfeld aussehen, in dem Kinder die oben genannten Fähigkeiten bestmöglich entfalten können? Nach einleitenden Gedanken stellen wir vier grundlegende Prinzipien vor.

 

Bindung und Exploration - Die Welt entdecken wollen … 

Kinder wollen dauernd und auf alles hinaufklettern oder versuchen, sich an allem Erreichbaren hochzuziehen. Murphys Gesetz für Kinder könnte lauten: „Wo ein Kind raufklettern kann, wird es raufklettern.“ Das heißt, wir haben den Luxus, Kinder nicht fürs Klettern motivieren zu müssen. Die Kunst besteht jedoch darin, den natürlichen Antrieb nicht durch unser Tun zu minimieren und das Klettern so zu gestalten, dass die Kids daran Freude haben.

Die Bindungstheorie (ein Teilgebiet der Psychologie) stellt zum Verständnis dessen, was sich beim Klettern zwischen Betreuungsperson und Kind abspielt, wichtige Gedanken bereit. Ein Zitat von John Bowlby, der die Bindungstheorie mit entwickelt hat, unterstreicht dies und stellt heraus, wie besonders das Klettern gerade im Bereich Bindung ist: „Bindung ist das gefühlstragende Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das sie über Raum und Zeit verbindet.“ Ein Seil ist also das tragende Band, das eine Person zu einer anderen Person über Raum und Zeit miteinander verbindet.

 

Ein Kind traut sich laut Bindungstheorie dann seine Umwelt zu erkunden (sein sogenanntes Explorationsverhalten auszuleben), wenn es sich sicher fühlt, das heißt, wenn eine sogenannte sichere Bindung zu seiner wichtigsten Bezugsperson besteht. Kommt ein Kind in eine Situation, die in ihm Stress und Angst auslöst, sucht es meist die Nähe zu seiner Vertrauensperson.

 

Kinder sind, wie wir alle wissen, ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, und das zeigt sich auch in ihrem Kletterverhalten. Einige Kinder klettern mit viel Neugierde und Impulsivität an einer Wand hoch, andere werden sich eher ängstlich oder zögernd der Wand nähern. Wenn ein Kind positive Explorationserfahrungen macht (wenn Dinge gelingen, die es versucht), wird seine Neugier stark fortbestehen und seine Entwicklungsmöglichkeiten werden sich weiter entfalten. Fühlt sich ein Kind hingegen überfordert oder macht es negative Erfahrungen, wird die Neugier automatisch gebremst. Gerade in einer solchen Situation ist ein sensibles Eingehen der Eltern auf die Bedürfnisse des Kindes besonders entscheidend. Die schwierige Kunst ist es, Kindern individuell bewältigbare Herausforderungen zu geben, ihnen also interessante Reize zu bieten, ohne sie damit zu überfordern.

 

Angstbewältigung und Freude am Klettern - Ich trau mich nicht … 

Fast jede Kletterin/jeder Kletterer kennt beim Klettern irgendeine Art von Angst. Kinder können ihre Emotionen meist noch nicht so genau differenzieren (ob es z. B. mehr die Spannung der Herausforderung oder doch eher Angst vor Fehlern oder Verletzungen ist). Wesentlich für den Umgang mit den Ängsten von Kindern ist zu wissen, dass Auslöser für Angst einerseits reale Gefahrensituationen und andererseits individuelle Vorstellungen und Fantasien sein können, zum Beispiel wenn ein Kind eine hohe Kletterwand sieht. Ein erster Ansatzpunkt für Eltern besteht darin, die Angst des Kindes in jedem Fall zu akzeptieren und ernst zu nehmen.

 

Die Prinzipien 

Welche Aspekte können nun konkret helfen, ein angstfreies und wohlwollendes Umfeld zu gestalten, in dem ein Kind sich sicher fühlt, um seinen naturgegebenen Entdeckerdrang auszuleben? Hierzu wollen wir die vier Prinzipien Individualität, Selbstbestimmung, dosierte Motivation und Freude erläutern.

 

Zur Info an die Grafik: Die türkis markierten Stellen bitte fett und/oder farbig setzen!

 

Das Prinzip „Individualität“ hebt die Wichtigkeit hervor, jedes Kind in seiner Einzigartigkeit wahrzunehmen, mit seinen Stärken, Schwächen und Interessen. Die persönlichen kleinen Fortschritte sollten im Vordergrund stehen, nicht der Vergleich mit anderen Kindern. Es ist ganz normal, dass sich Kinder nicht stetig weiterentwickeln, sondern manchmal auf eine frühere Entwicklungsstufe zurückkehren, ehe sie zu etwas Neuem übergehen. Dies hat den Zweck, erworbene Fähigkeiten zu festigen und zur Routine werden zu lassen. Umso wichtiger ist der Leitsatz, den direkten Vergleich mit anderen Kindern zu meiden und die Individualität in den Vordergrund zu stellen.

 

Das Prinzip „Selbstbestimmung“ ist beim Klettern insofern von Bedeutung, weil jede/jeder selbst entscheiden darf, wie hoch sie/er klettert und wann sie/er abgelassen werden möchte. Eine Aufgabe eigenständig zu bewältigen bedeutet für die Autonomie und Selbstständigkeit eines Kindes einen großen Fortschritt. Beim selbstbestimmten Klettern übernimmt es Verantwortung, trifft eigene Entscheidungen und erfährt somit ein bedeutendes Maß an Unabhängigkeit. Dies macht zu Recht stolz.

 

Das Prinzip „dosierte Motivation“ bedeutet, das Kind beim Klettern nur minimal und sehr durchdacht zu motivieren. Keinesfalls darf riskiert werden, dass das Kind durch Motivieren oder „Pushen“ in Angst gerät. Denn nur bewältigbare Herausforderungen machen Freude. Durch Lob für kleine Erfolge (z. B. weil ein guter Kletterzug dabei war, auch wenn das Top in weiter Ferne blieb) kann die Angst vor Fehlern und Versagen genommen und der Selbstwert gesteigert werden.

 

Kommt ein Kind zu einer für sich schweren Kletterstelle, können Erwachsene dem Kind bei der Lösungssuche nur in begrenztem Ausmaß helfen. Der Impuls zu helfen und die Ohnmacht, keine direkte Hilfestellung geben zu können, wechseln einander oftmals ab. Für Kinder ist es ein guter Lernprozess, wenn Erwachsene ihnen bei der Suche nach einer Lösung zwar helfen, sie die Ausführung beim Klettern jedoch ganz alleine vollziehen. Wesentlich ist bei diesen Bemühungen, dem Kind so wenig Hilfe wie möglich und so viel wie nötig zu geben, denn die schönste Lösung ist immer noch die, die man mit einiger Anstrengung möglichst selbstständig erreicht hat - sanfte Hilfestellungen sind das Ziel.

 

Das Prinzip „Freude“ ist vielleicht das wichtigste: Für uns Erwachsene sind Erfolg und Stolz oft mit Höhe und dem Erreichen des Tops verbunden, doch Kindern macht es oft viel mehr Spaß, an einer Stelle zu schaukeln oder ein paarmal hintereinander bis zu einer Höhe von ein paar Metern zu klettern und abgelassen zu werden.

 

Unsere Richtschnur sollten die individuellen Interessen jedes Kindes sein, damit es auch weiterhin Spaß daran hat, beim Klettern seinen großen Entdeckergeist auszuleben!

 

Text von Anne-Claire Kowald, Psychotherapie & therapeutisches Klettern, www.anne-claire.at, www.stkzweinburg.eu, und Mag. Susanne Wallner, Klinische Psychologie, Legasthenietraining & therapeutisches Klettern, www.psychologie-wallner.com

 


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